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Der Shashmaqām von Buchara/ Usbekistan

Der Shashmaqām von Buchara/ Usbekistan

In Buchara, dem 2500 Jahre alten Handelszentrum am Schnittpunkt der Seidenstraßen, einem Schmelztiegel von Religionen, Kulturen, Ethnien und Sprachen, entwickelte sich während der Herrschaftszeit der usbekischen Dynastie der Mangiten (1785-1920) in einer persisch dominierten Hofkultur und unter dem Einfluss der strengen islamischen Bruderschaft der Naqshbandīya gegen Ende des 18. Jahrhunderts jene musikalische Großform, die als Shashmaqām in die Geschichte eingegangen ist. Der Shashmaqām ist in sechs (pers.: šaš) instrumentale und vokale zyklische Großformen unterteilt, die einen grundsätzlich gleichartigen äußeren Aufbau, jedoch jeweils andere Tonalitäten und Ausdrucksqualitäten haben (Buzruk, Rāst, Nawā, Dugāh, Segāh, ‘Irāq). In diesen sechs Maqāmāt sind die wichtigsten damals bekannten Formen, Genres, Rhythmen und Modi zusammengefasst und in einer bestimmten, logischen Aufeinanderfolge festgelegt.


Diese mündlich überlieferten Zyklen aus ca. 250 unterschiedlich langen Einzelstücken, die kunstvoll  miteinander verwoben waren und alle melodischen Modi und rhythmischen Formeln zueinander in Beziehung setzten und damit eine für eine mündliche Überlieferung außergewöhnliche Strenge, Prägnanz und Komplexität erreichten, verloren nach der Revolution und Vertreibung des letzten Emirs (1920) ihr Podium und Publikum, so dass der Gesamtzusammenhang der Zyklen in kürzester Zeit vergessen wurde. In den 50er/60er Jahren setzten in der neuen Hauptstadt Taschkent mühsame Rekonstruktionsversuche ein, die jedoch die innere musikalische Logik zerstörten, neue, usbekische Texte benutzten und den Shashmaqām zum Symbol usbekischer Macht und Identität aufblähten.

Es gibt jedoch eine im Untergrund vom ehemaligen jüdischen Hof-Sänger und Musiker Levi Babakhan (1874-1926) an seinen Sohn Moshe (1911-1983) und von diesem an Ari Babakhanov (geb.1934) weitergegebene Linie, die die alten Stilmittel, die ursprüngliche Terminologie und alten persischen Texte bewahrt hat. Der von der kulturpolitischen Führung Usbekistans bewusst ignorierte, seit fünf Jahren in Leipzig lebende bedeutende Musiker hat eine Gesamtniederschrift dieser alten höfischen Tradition einschließlich der alten Texte erstellt, auf die das Projekt aufbaut. Ziel des Projektes ist eine Publikation der die verschiedenen Quellen zusammen führenden wissenschaftlichen Forschung, Musikaufnahmen von mindestens einem vollständigen Maqam-Zyklus, die musikalische Analyse sowie die Einarbeitung der alten Texte und ihre Übersetzung. Durch Aufdeckung der Symbolik der musikalischen Strukturen und der termini technici kann schließlich der ursprüngliche Bedeutungsinhalt und -kontext rekonstruiert werden, der den Shashmaqām als ein Struktur gewordenes Ritual, als Spiegel und Pendent der Schöpfung ausweist.

Die Quellenlage ist zum augenblicklichen Zeitpunkt so günstig wie sie noch nie war und auch nie wieder sein wird. Die Anwesenheit Ari Babakhanovs in Leipzig und die unmittelbare Nähe zur Musikethnologie und Orientalistik an der Universität Halle-Wittenberg ist nicht nur eine günstige Gelegenheit, sondern zugleich auch die letzte Chance, den Bucharischen Shashmaqām in seiner Historizität und Komplexität zu erforschen. Es ist eine musikhistorische Arbeit an einem musik-ethnologischen Objekt, mit einem noch lebenden Informanten, der als Jude der letzte Kenner und Interpret einer schon vergangenen, wegen ihrer historisch-geographischen Stellung sehr wichtigen und bisher kaum erforschten islamischen Musik-Tradition ist, einer Tradition, die eine tiefenpsychologische Analyse der traditionellen islamischen Kultur ermöglicht und dadurch nicht nur für die Musikgeschichte und Islamwissenschaft,  sondern auch für die Kulturgeschichte in ihrer Gesamtheit von Bedeutung ist.

Dieses Projekt ist abgeschlossen.

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